In den letzten Jahren hat das Phänomen der „Entantwortung“, wie ich den Prozess der Entkopplung von zu erledigender Aufgabe und der Übernahme von Verantwortung für das Arbeitsergebnis nenne, schleichend immer mehr um sich gegriffen. Dabei stellen sich mehrere Fragen:
• Wie konnte es dazu kommen, dass Mitarbeiter ihnen zugeordnete Aufgaben nur bei expliziter Aufforderung durch Ihren Chef bearbeiten, teilweise sogar wiederkehrende Routineaufgaben?
• Warum wird die Übernahme zusätzlicher, auch gerade verantwortungsvoller Aufgaben abgelehnt bzw. nicht aktiv der Wunsch geäußert, derartige Aufgaben anzupacken?
• Auch wenn die Aufgabe dann erledigt wird, so wird nicht selten die Übernahme der Verantwortung für das Arbeitsergebnis ausweichend bis ablehnend beschieden?
Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass in Zeiten von agiler werdenden Organisationen, New Work, Digitalisierung, mobilem Arbeiten und den flachen Hierarchien diese Fragestellungen demnächst obsolet sind. In der Praxis ist das Prinzip der (Selbst-) Verantwortung eine der Kernfragen moderner Führung geblieben, deren Beantwortung über die (Weiter-) Entwicklung von Unternehmen entscheidet.
Ein kleiner Blick in die Literatur zeigt, dass das Phänomen der „Verantwortungsdiffusion“ schon in den 60er Jahren als klassisches Experiment der Psychologie untersucht wurde als Experiment zur Abschiebung eigener Verantwortung (Darley, Latané). Kahneman greift das Thema ebenso auf wie Sprenger, der dieser wichtig(st)en Führungsfrage ein ganzes Buch widmet. Es kann also nicht als Ausrede dienen, dass die heutige (Arbeits-) Welt immer komplexer, schneller, unsicherer, volatiler und uneindeutiger wird (Stichwort „VUCA“).
Was bedeutet das für Führung und wie kann man das in der praktischen Führungsarbeit umsetzen? Die Antwort ist zugleich einfach und ernüchternd. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Grundlagen der Führung und es ist ein längerer Prozess. Und dies ist unabhängig von der konkreten Hierarchiestufe, der Größe und er Inhaberschaft des Unternehmens. Wir benötigen folgende Bausteine:
1. Eine Vision/Mission oder konkreter ein Ziel.
Ohne Leitplanken wird es schwierig bis unmöglich, den Mitarbeiter von der Notwendigkeit der Erfüllung der Aufgabe zu überzeugen.
2. Die Aufgabenbeschreibung, das Briefing
Das erfordert keine Bürokratie. Alles was man nicht auf einer DIN A4-Seite „quer“ skizzieren und entwickeln kann, ist wahrscheinlich eher ein Projekt. Dazu gehört auch eine Zeitvorgabe
3. Eine Diskussion und eine klare Vereinbarung, die konkrete Delegation der Aufgabe
Hier ist klare und eindeutige Kommunikation erforderlich, beidseitig. Wichtig ist dabei folgender Kernsatz: „Verantwortung ist unteilbar“. Das bedeutet: Schluss mit mehrfacher Vergabe der gleichen Aufgabe oder Übergabe an eine Gruppe. Dies gilt auch in besonderem Maße für Matrixorganisationen. Hinzu kommt gegebenenfalls die veränderte Priorisierung der Aufgaben des Mitarbeiters.
4. Feedbackschleife(n)
Das Feedback ist ein zentrales Element, nicht zu verwechseln mit ständiger Kontrolle oder Mikromanagement. Es geht vielmehr um Zuhören, Bekunden von Interesse, die Unterstützung und Reflektion, natürlich ohne den Griff ins Lenkrad des Mitarbeiters. Sonst kommt es schnell zum Aufwärtsdelegieren.
5. Gemeinsame Erfolgskontrolle und Würdigung
Dies sollte eigentlich selbsterklärend und selbstverständlich sein, wird aber häufig sträflich unterlassen. Damit werden zwei wichtige Chancen zur Stärkung der Verantwortung vergeben: der Abschluss bzw. die formale Erledigung der Aufgabe und die Möglichkeit zu loben.
Es lohnt sich, mit der Selbstdisziplinierung zu beginnen, nur dann wird sich etwas entwickeln im Unternehmen, am Standort, in der Abteilung. Dann bleibt der proaktive, agile, selbständige und verantwortungsbewusste Mitarbeiter keine Fiktion. Passend dazu erscheint mir der neue Claim der Süddeutschen Zeitung: „Mut entscheidet“, mehr denn je über den unternehmerischen Erfolg.
Herzlichst
Mathias Gehle
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Mathias Gehle
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